§ 64 (weggefallen)
Synopse: § 64 GmbHG alte Fassung, gültig bis 01.01.2021
§ 64 Haftung für Zahlungen nach Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung
Die Geschäftsführer sind der Gesellschaft zum Ersatz von Zahlungen verpflichtet, die nach Eintritt der Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft oder nach Feststellung ihrer Überschuldung geleistet werden. Dies gilt nicht von Zahlungen, die auch nach diesem Zeitpunkt mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar sind. Die gleiche Verpflichtung trifft die Geschäftsführer für Zahlungen an Gesellschafter, soweit diese zur Zahlungsunfähigkeit der Gesellschaft führen mussten, es sei denn, dies war auch bei Beachtung der in Satz 2 bezeichneten Sorgfalt nicht erkennbar. Auf den Ersatzanspruch finden die Bestimmungen in § 43 Abs. 3 und 4 entsprechende Anwendung.
Für den Rechtsverkehr
(für Nichtjuristen)
zum Expertenteil (für Juristen)
Bedeutung für den Rechtsverkehr, häufige Anwendungsfälle
1
Kommt es zur Insolvenz einer GmbH, gehört es zum Standardrepertoire eines Insolvenzverwalters, zu überprüfen, ob rechtzeitig Insolvenzantrag gestellt wurde und – falls nicht –, ob der Geschäftsführer deswegen persönlich haftet.
Es ist immer wieder zu beobachten, dass es die größte Sorge der Geschäftsführer bei verspäteter Insolvenzantragstellung ist, sich wegen Insolvenzverschleppung strafbar gemacht zu haben. Die Haftungsfolgen nach
21) § 64 aus der Sicht des Geschäftsführers
3a) Handlungsgebote im Vorfeld der Insolvenz
Das zentrale Handlungsgebot an den Geschäftsführer aus
4aa) Prüfen von Insolvenzgründen
5(1) Zahlungsunfähigkeit
Ein zahlungsfähiges Unternehmen muss zu jeder Zeit in der Lage sein, seine fälligen Verbindlichkeiten zu bedienen. Zahlungspflichten sind zu dem Zeitpunkt fällig, zu dem das vereinbarte oder vom Gläubiger eingeräumte Zahlungsziel abläuft. Lautet der Rechnungstext zum Beispiel „zahlbar innerhalb von 20 Tagen rein netto“, muss die Rechnung ohne Abzüge innerhalb von 20 Tagen bezahlt werden. Enthält eine Rechnung einen solchen Text nicht, ist sie sofort zur Zahlung fällig, nicht erst – wie vielfach geglaubt wird – nach 30 Tagen oder mit Eintritt des Zahlungsverzugs. Die häufig anzutreffende Praxis, Lieferantenrechnungen „liegen zu lassen“ und erst nach zwei oder drei Monaten zu bezahlen – was von Lieferanten mit Rücksicht auf die Geschäftsbeziehung oftmals toleriert wird –, ist bei einer GmbH nicht erlaubt.
Ist eine GmbH nicht in der Lage, ihre sämtlichen fälligen Verbindlichkeiten zu bezahlen, ist sie zahlungsunfähig.
6(a) Toleranzen
Der Bundesgerichtshof toleriert dabei eine vorübergehende Deckungslücke von 10 %. Eine GmbH muss demnach zumindest 90 % ihrer fälligen Verbindlichkeiten bezahlen können, um nicht zahlungsunfähig zu sein. Dies gilt aber nur, wenn nicht schon absehbar ist, dass die Deckungslücke demnächst größer als 10 % sein wird. Ferner wird eine 10 %-ige Deckungslücke nicht auf Dauer toleriert.
Der Bundesgerichtshof erlaubt ferner Deckungslücken von mehr als 10 %, wenn diese innerhalb von drei Wochen wieder beseitigt oder auf weniger als 10 % reduziert werden können. Kann eine GmbH weniger als 90 % ihrer fälligen Verbindlichkeiten bezahlen, ist sie dennoch nicht zahlungsunfähig, wenn sie insgesamt mindestens 90 % ihrer fälligen Verbindlichkeiten zumindest innerhalb der nächsten drei Wochen bedienen kann. Eine solche Situation wird „Zahlungsstockung“ genannt.
In extremen Ausnahmefällen toleriert der Bundesgerichtshof auch eine längere Überschreitung einer liquiden Unterdeckung von 10 %, wenn die Liquiditätslücke demnächst (drei bis sechs Monate) „mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“ vollständig oder fast vollständig geschlossen werden kann. Hier darf am Ende im Prinzip gar keine oder nahezu keine Liquiditätslücke mehr verbleiben, auch keine Lücke von nur 10 %. Da diese Ausnahme mit extremen Unsicherheiten behaftet ist, kann diese nur in enger Abstimmung mit rechtlichen und betriebswirtschaftlichen Beratern „riskiert“ werden. In der Regel ist davon kein Gebrauch zu machen.
7(b) Vermeidung der Zahlungsunfähigkeit
Sofern eine Zahlungsunfähigkeit droht, kann diese durch eine entsprechende Mittelzufuhr vermieden werden. Der Geschäftsführer muss also im Rahmen einer Liquiditätsplanung darauf achten, dass die erforderliche Liquidität rechtzeitig zur Verfügung gestellt wird, z.B. durch eine Erweiterung der bestehenden Kreditlinien oder indem die Gesellschafter die erforderlichen Mittel einlegen oder als Gesellschafterdarlehen zur Verfügung stellen. Möglich ist auch, Güter zu verkaufen und auf diese Art „zu Geld zu machen“. Gängige Methoden zur Liquiditätsbeschaffung sind auch das Factoring oder das Sale-and-lease-back von Anlagegütern. Da die oben genannte Drei-Wochen-Frist für diese Maßnahmen in der Regel nicht ausreicht, sollten diese rechtzeitig geplant und in Angriff genommen werden.
Können die erforderlichen Mittel nicht kurzfristig beschafft werden, können auch mit den Gläubigern Stundungsabreden getroffen werden. Diese müssen aber gut dokumentiert werden, in der Regel schriftlich, damit sie später notfalls auch bewiesen werden können.
8(2) Überschuldung
9(a) Rechnerische Überschuldung
Ein Unternehmen ist überschuldet, wenn sein Vermögen die Verbindlichkeiten betragsmäßig nicht mehr deckt, sprich: Die Passiva die Aktiva übersteigen und das Eigenkapital somit negativ ist. Bei einer GmbH verpflichtet schon die Überschuldung zur Insolvenzantragstellung, selbst wenn die GmbH noch zahlungsfähig ist, also alle fälligen Verbindlichkeiten bedienen kann. Während die Zahlungsunfähigkeit „physisch“ spürbar wird (man merkt in der Regel, wenn man seine Rechnungen nicht mehr bezahlen kann), passiert die Überschuldung eher „schleichend“. Deswegen ist sie für Geschäftsführer so gefährlich, weil die Geschäftsführer auch bei einer überschuldeten GmbH haften (oder sich strafbar machen), wenn sie das Unternehmen weiterführen und keinen Insolvenzantrag stellen. Die Überschuldung ist deswegen so schwer erkennbar, weil die Überschuldung im Sinne des Insolvenzrechts nicht unbedingt identisch ist mit einer Überschuldung in der Handels- oder Steuerbilanz.
Weist die Handels- oder Steuerbilanz einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag aus, wird man zumeist auch von einer Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne ausgehen können. Ist das der Fall, muss unverzüglich darüber nachgedacht werden, ob und ggf. wie die Überschuldung beseitigt werden kann. Andernfalls muss Insolvenzantrag gestellt werden.
Oftmals ist aber ein Unternehmen auch überschuldet, obwohl die Handels- oder Steuerbilanz noch ein positives Eigenkapital ausweist. Die Handels- oder Steuerbilanz geht nämlich von einer Fortführungsannahme aus (
10(b) Fortführungsprognose
Die zentrale Frage für die Beurteilung der Überschuldung ist daher, ob für das Unternehmen eine positive Fortführungsprognose besteht. Dies erfordert wiederum eine Liquiditätsprognose (und damit eine fundierte Liquiditätsplanung) für das laufende und das darauffolgende Geschäftsjahr. Nur wenn diese Liquiditätsprognose zeigt, dass das Unternehmen die nächsten ein bis zwei Jahre aller Voraussicht nach (mit überwiegender Wahrscheinlichkeit) überleben wird, darf der Fortführungswert aus der Handelsbilanz bei der Beurteilung der insolvenzrechtlichen Überschuldung übernommen werden.
Zeigt hingegen die Liquiditätsprognose für die nächsten ein bis zwei Jahre, dass der Fortbestand des Unternehmens unter Liquiditätsgesichtspunkten nicht gewiss (zumindest nicht „überwiegend wahrscheinlich“) ist, dürfen die Vermögensgegenstände auf der Aktivseite der Bilanz nur noch zu Zerschlagungswerten (also zu den mutmaßlichen Einzelveräußerungspreisen) angesetzt werden. Dies führt bei den meisten Unternehmen zu deren Überschuldung.
Nur in seltenen Fällen hat ein Unternehmen signifikante stille Reserven, z.B. wenn sich ein Betriebsgrundstück mit einem hohen Wert im Gesellschaftsvermögen befindet, das vor langer Zeit erworben wurde, und deswegen hierfür nur ein geringer Buchwert ausgewiesen ist. Stille Reserven dürfen bei der Überschuldungsprüfung aufgedeckt werden und können im Einzelfall geeignet sein, einen nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag oder sogar eine Abwertung der übrigen Vermögensgegenstände auf Zerschlagungswerte im Falle einer negativen Fortführungsprognose auszugleichen.
Dreh- und Angelpunkt der Überschuldungsprüfung ist daher die Fortführungsprognose. Der Begriff Überschuldung verleitet deshalb zu einem falschen Blickwinkel. In Wirklichkeit kommt es auch bei der Überschuldung zumeist darauf an, ob das Unternehmen Fortführungsaussichten hat oder ob die Zahlungsunfähigkeit droht. Da der Geschäftsführer im Ernstfall eine positive Fortbestehensprognose beweisen können muss (gerade dann, wenn es eben doch schief ging und sich eine positive „Prognose“ im Nachhinein als falsch herausgestellt hat), empfiehlt sich bei Krisenanzeichen oder einem nicht durch Eigenkapital gedeckten Fehlbetrag in der Handels- bzw. Steuerbilanz die Erstellung einer Fortführungsprognose durch einen externen Unternehmensberater.
Ist die Fortbestehensprognose positiv, ist selbst eine rechnerische Überschuldung zu Fortführungswerten unschädlich.
11bb) Insolvenzantragstellung
Liegt ein Insolvenzgrund vor (Zahlungsunfähigkeit oder Überschuldung), muss der Geschäftsführer unverzüglich Insolvenzantrag stellen.
Unabhängig von dem strafrechtlichen Handlungsgebot sollte der Geschäftsführer den gebotenen Insolvenzantrag stellen, wenn er seine Haftung nach
12cc) Zurückhalten von Zahlungen
Der Geschäftsführer kann seine Haftung nach
13(1) Keine Zahlungen
Ab Eintritt der Insolvenzreife dürfen keine Gläubiger mehr bezahlt werden, insbesondere nicht von Guthabenkonten oder von im Soll befindlichen Kontokorrentkonten, wenn der Kontokorrentkredit aus dem Vermögen der Gesellschaft besichert ist. Zahlungen von einem unbesicherten Soll-Konto dürfen zwar theoretisch noch erbracht werden, können aber eine Pflichtwidrigkeit gegenüber der Bank darstellen. Nicht zulässig ist hingegen die Vereinnahmung von Zahlungen auf ungesicherten Soll-Konten. Deswegen ist der Geschäftsführer gehalten, mit den Kunden in Kontakt zu treten und diese zu veranlassen, ihre Zahlungen nicht mehr auf das (unter Umständen gewohnte) Konto zu bezahlen, sondern auf ein anderes, im Haben befindliches Konto. Sofern ein solches Konto nicht besteht, muss der Geschäftsführer ein solches Habenkonto eröffnen und bis dahin die Kunden veranlassen, ihre Zahlungen zurückzuhalten.
14(2) Keine sonstigen Vermögensminderungen
Der Geschäftsführer darf auch sonst nichts unternehmen, wodurch das Vermögen der Gesellschaft – isoliert betrachtet – gemindert wird. Er darf auch keine Waren ausliefern, wenn der Kunde diese schon im Voraus bezahlt hat. Nur wenn er durch die Warenlieferung eine Forderung für die GmbH generiert (wie im üblichen Geschäftsverlauf), darf die Ware weiterhin geliefert werden.
15(3) „Erlaubte“ Zahlungen
Der Geschäftsführer darf nur solche Zahlungen noch leisten, wenn andernfalls ein Zusammenbruch des Betriebs drohen würde. Demnach darf er in der Regel Strom, Wasser, Gas und Telefonrechnungen bezahlen. Er darf in der Regel Lieferanten auf Vorauskassenbasis bezahlen, damit diese notwendiges Rohmaterial liefern. Ferner darf er den Arbeitnehmeranteil an der Sozialversicherung sowie Lohn- und Umsatzsteuer bezahlen, weil er sich andernfalls gegenüber dem Sozialversicherungsträger oder dem Finanzamt persönlich haftbar machen könnte.
16(4) Haftungsrisiken im Falle einer eingetretenen Insolvenz
Im Insolvenzverfahren gehört es zu den Standardaufgaben des Insolvenzverwalters, auch mögliche Haftungsansprüche gegen den Geschäftsführer zu prüfen. Der Insolvenzverwalter wird daher immer überprüfen, wann die insolvente GmbH wirklich schon insolvenzreif war, unabhängig davon, wann der Insolvenzantrag tatsächlich erstellt wurde. Stellt sich heraus, dass die GmbH schon vor dem Insolvenzantrag zahlungsunfähig oder überschuldet war, trifft den Geschäftsführer die Haftung für sämtliche seit diesem Zeitpunkt noch geleisteten Zahlungen und Vermögensminderungen. Dabei können relativ kurze Zeiträume bereits zu beträchtlichen Haftungssummen führen. In der Regel sind nahezu sämtliche Ausgaben des Unternehmens verbotene Zahlungen i.S.v. § 64. Nur wenige Zahlungen sind privilegiert (siehe oben a) cc) (3)), und auch die Privilegierung gilt in der Regel nur für einen kurzen Zeitraum. Da ein insolvenzreifes Unternehmen selten Gewinne schreibt, im Bestfall eine „schwarze Null“, sind die Ausgaben zumeist genauso hoch wie die Umsätze (wenn nicht noch höher). Deswegen gilt als Faustregel, dass der Umfang der Geschäftsführerhaftung nach § 64 größenordnungsmäßig dem Umsatz im Insolvenzverschleppungszeitraum entspricht. Sofern hierfür keine Managementhaftpflichtversicherung (D&O-Versicherung) aufkommt, wird diese Haftung auch für Geschäftsführer nicht selten existenzbedrohlich. Oftmals zieht die Insolvenz einer GmbH allein schon deswegen eine Insolvenz des Geschäftsführers nach sich.
Allein aus diesem Grund ist dringend auf eine rechtzeitige Insolvenzantragstellung zu achten. Solange das Unternehmen „gesund“ ist, sollte auch bei kleineren GmbHs unbedingt der Abschluss einer D&O-Versicherung in Betracht gezogen werden. Dabei ist darauf zu achten, dass die Versicherungsbedingungen einen etwaigen Anspruch aus
172) Aus Sicht der Gesellschaft
Für die GmbH selbst hat § 64, jedenfalls zu deren „Lebzeiten“, keine relevante Bedeutung. Relevanz hat die Vorschrift letztlich nur für den Insolvenzverwalter. Für den Insolvenzverwalter spielt
18a) Darlegung der Zahlungsunfähigkeit
Sofern die Zahlungsunfähigkeit exakt anhand einer Liquiditätsbilanz ermittelt werden soll, müssen nämlich für jeden relevanten Zeitpunkt die jeweils fälligen Verbindlichkeiten den vorhandenen liquiden Mitteln gegenübergestellt werden. Da die Buchhaltung bei kleineren GmbHs oftmals nicht in der Lage ist, die Fälligkeitsdaten auszuwerten, bedarf es hierzu oftmals einer völlig neuen Aufbereitung der Buchhaltungsdaten.
Der Insolvenzverwalter kann aber insoweit eine Beweiserleichterung in Anspruch nehmen, wenn aufgrund äußerer Indizien von einer Zahlungseinstellung (
19b) Darlegung der Überschuldung
Wegen der beträchtlichen Bewertungsschwierigkeiten wird der Insolvenzverwalter auch eine Überschuldung nicht ohne Weiteres beweisen können, wenn die Handels- oder Steuerbilanz noch kein negatives Eigenkapital ausgewiesen hat. Sobald jedoch in der Handels- oder Steuerbilanz ein nicht durch Eigenkapital gedeckter Fehlbetrag bestand, kann der Insolvenzverwalter hieraus ableiten, dass die GmbH auch insolvenzrechtlich überschuldet war. Es obliegt dann dem verklagten Geschäftsführer zu beweisen, dass die GmbH (z.B. aufgrund stiller Reserven) dennoch nicht überschuldet war oder eine positive Fortbestehensprognose bestand.
20c) Darlegung der verbotenen Auszahlungen
Auch die Darlegung der verbotenen Auszahlungen erfordert eine gewisse Mühe. Der Insolvenzverwalter muss nämlich sämtliche Zahlungen im Einzelnen darlegen. Dies kann vor allem kompliziert werden, wenn die Kontostände stark geschwankt sind, wenn ein Konto also zeitweise im Haben und zeitweise im Soll geführt wurde (sog. oszillierendes Konto). Davon hängt nämlich ab, ob jeweils die Auszahlungen oder die Einzahlungen haftungsrelevant i.S.d.
21d) Wirtschaftliche Durchsetzbarkeit
Nicht zuletzt spielen in Anbetracht der erheblichen Haftungsbeträge die Vermögensverhältnisse des Geschäftsführers eine große Rolle bei der Durchsetzbarkeit des Anspruchs. Sofern keine D&O-Versicherung besteht, wird es sich daher häufig empfehlen, anstatt eines mitunter langjährigen Haftungsprozesses zeitnah einen wirtschaftlich orientierten Vergleich mit dem Geschäftsführer zu suchen.
223) Aus Sicht der Gesellschafter
Für die Gesellschafter spielt
234) § 64 aus Sicht Dritter
Expertenhinweise
(für Juristen)
1) Allgemeines
24a) Regelungsgehalt
2) Definitionen
28a) Eintritt der Zahlungsunfähigkeit
aa) Zahlungsunfähigkeit
Die Zahlungsunfähigkeit ist in
29Ist die liquide Unterdeckung nur vorübergehend oder geringfügig, liegt lediglich eine Zahlungsstockung und noch keine Zahlungsunfähigkeit vor. Nach dem BGH ist lediglich von Zahlungsstockung auszugehen, wenn eine innerhalb von drei Wochen nicht zu beseitigende Liquiditätslücke weniger als 10 % beträgt, sofern nicht bereits absehbar ist, dass die Lücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04, Leitsatz 2 = BGHZ 163, 134 Beträgt die Liquiditätslücke hingegen 10 % oder mehr und kann diese nicht innerhalb von drei Wochen beseitigt werden, ist regelmäßig von Zahlungsunfähigkeit auszugehen, sofern nicht ausnahmsweise mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquiditätslücke demnächst vollständig oder fast vollständig beseitigt werden wird und den Gläubigern ein Zuwarten nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04, Leitsatz 3 = BGHZ 163, 134 Aus dieser, vom BGH wiederholt geäußerten Definition, ergeben sich die nachfolgenden Schritte zur Ermittlung der Zahlungsunfähigkeit.
30(1) Stichtagsbezogener Liquiditätsstatus
In einem ersten Schritt sind sämtliche an einem bestimmten Stichtag fälligen Verbindlichkeiten (Passiva I) zu ermitteln und den an diesem Stichtag vorhandenen liquiden Mitteln (Aktiva I) gegenüberzustellen. Sofern die Aktiva I die Passiva I übersteigen oder zumindest decken, ist die Gesellschaft zahlungsfähig. Bleiben die Aktiva I hinter den Passiva II um weniger als 10 % zurück, ist die Gesellschaft immer noch zahlungsfähig, wenn nicht bereits absehbar ist, dass die Deckungslücke demnächst mehr als 10 % erreichen wird.BGH, Urteil vom 12.10.2006 – IX ZR 228/03, Rn. 27 = ZIP 2006, 2222, 2224 Auch eine Deckungslücke von weniger als 10 % ist keine bloße Zahlungsstockung mehr, wenn sie länger als drei bis sechs Monate andauert.IDW S 11, Ziff. 4.1.1., Rn. 17 am Ende Der BGH trifft hierzu keine eindeutige Aussage, spricht aber davon, dass ein Unternehmen mit einer dauerhaften, wenngleich geringfügigen Liquiditätslücke, nicht erhaltungswürdig erscheint.BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04, Rn. 18 = BGHZ 163, 134
31(2) Zeitraumbezogener Liquiditätsstatus
Beträgt die Liquiditätslücke 10 % oder mehr, so sind die innerhalb von drei Wochen zufließenden (oder gegebenenfalls auch flüssig zu machenden) Mittel (Aktiva II) und die innerhalb der nächsten drei Wochen neu fällig werdenden Verbindlichkeiten (Passiva II) in den Liquiditätsstatus mit einzubeziehen.Ganz herrschende Lehre; statt vieler: Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),
Aktiva I + Aktiva II
_________________ = Deckungsgrad > 90 %
Passiva I + Passiva II
32Diese Berechnungsmethode (unter Einbeziehung nicht nur der Aktive II, sondern auch der Passiva II) wurde mittlerweile auch durch den BGH bestätigt.BGH, Urteil vom 19.12.2017 - II ZR 88/16, Rn. 34 = NZI 2018, 204, 206.
Eine frühere, wiederholt geäußerte Formulierung des BGH, wonach die im maßgeblichen Zeitpunkt verfügbaren und innerhalb von drei Wochen flüssig zu machenden Mittel (nur) zu den am selben Stichtag fälligen und eingeforderten Verbindlichkeiten (und damit nur zu den Passiva I) in Beziehung zu setzen seien,BGH, Urteil vom 12.10.2006 – IX ZR 228/03, Rn. 28 = ZIP 2006, 2222, 2224; BGH, Urteil vom 14.05.2009 – IX ZR 63/08, Rn. 37 = ZInsO 2009, 1254, 1258; BGH, Urteil vom 18.07.2013 – IX ZR 143/12, Rn. 7 = ZIP 2013, 2015, 2016
hatte zu erheblichen Diskussionen in der LiteraturBork, ZIP 2008, 1749, 1751; Prager/Jungclaus, FS-Wellensiek 2011, 101, 105 ff.; Pape, WM 2008, 1949, 1955; Ganter, ZInsO 2011, 2297, 2300; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 18. Aufl. (2012), Anh. zu
33(3) Weitere Entwicklung
Auch bei einer zeitraumbezogenen Liquiditätslücke von weniger als 10 %, darf diese nicht demnächst (absehbar) mehr als 10 % erreichen.BGH, Urteil vom 12.10.2006 – IX ZR 228/03, Rn. 27 = ZIP 2006, 2222 f
Sofern eine Liquiditätslücke von mehr als 10 % bereits absehbar ist, führt dies bereits heute zur Zahlungsunfähigkeit. Ferner besteht Zahlungsunfähigkeit auch bei einer Liquiditätslücke von weniger als 10 %, wenn diese nicht innerhalb eines überschaubaren Zeitraums geschlossen werden kann, wobei hierfür drei bis sechs Monate genannt werden.IDW S 11, Ziff. 4.1.1., Rn. 17 a. E; Uhlenbruck/Mock, InsO, 17. Aufl. (2015),
Umgekehrt kann selbst bei einer Deckungslücke von 10 % oder mehr ausnahmsweise von Zahlungsfähigkeit ausgegangen werden, wenn mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit zu erwarten ist, dass die Liquidität demnächst vollständig oder fast vollständig geschlossen wird und ein Zuwarten den Gläubigern nach den besonderen Umständen des Einzelfalls zuzumuten ist.BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04, Leitsatz 3 = ZIP 2005, 1426; BGH, Urteil vom 12.10.2006 – X ZR 228/03, Rn. 27 = ZIP 2006, 2222 f
Auch hierfür soll ein Zeitraum von maximal drei, in besonderen Ausnahmefällen längstens sechs Monaten in Betracht kommen.IDW S 11, Ziff. 4.1.1., Rn. 16; Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
Vor dem Hintergrund dieser Regelungen hat sich in der Praxis die „Dreizehn-Wochen-Planung“ eingebürgert. Trotzdem wird es nur wenige Konstellationen geben, in denen ein Geschäftsführer wirklich auf die Schließung einer mehr als zehnprozentigen Liquiditätslücke innerhalb des Dreizehn-Wochen-Zeitraums vertrauen kann, wofür er letztlich im Hinblick auf die Formulierung des BGH („mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit“) das volle Erfolgsrisiko trägt. Sofern er auf eine derartige Entwicklung ausnahmsweise vertrauen darf, muss sich die Liquiditätslücke außerdem vollständig oder fast vollständig schließen, wofür allenfalls noch eine Unterdeckung von weniger als 5 % toleriert wird.Fischer, FS-Ganter, 2010, 153, 163 Eine Reduzierung der Liquiditätslücke auf lediglich unter 10 % ist dabei nicht ausreichend.
34bb) Zahlungseinstellung
Hat die Gesellschaft ihre Zahlungen bereits eingestellt, ist gemäß
Treten derartige Umstände nach außen in Erscheinung, gewährt dies dem klagenden Insolvenzverwalter letztendlich eine Erleichterung seiner Darlegungen zur Zahlungsunfähigkeit, weil dann aus der Zahlungseinstellung auf die Zahlungsunfähigkeit geschlossen werden kann. Es obliegt dann dem beklagten Geschäftsführer, gegebenenfalls mit Hilfe einer Liquiditätsbilanz die Zahlungsfähigkeit der Gesellschaft im fraglichen Zeitpunkt zu beweisen.
35cc) Eintritt
Die Zahlungsunfähigkeit tritt stichtagsbezogen ein an dem Tag, an dem eine liquide Unterdeckung besteht und nicht eine bloße Zahlungsstockung vorliegt. Der Geschäftsführer muss daher durch geeignete Kontrollinstrumente die Liquidität der Gesellschaft laufend und in dem Krisenstadium in angemessenen Intervallen überwachen, weil die Haftung unverzüglich mit Eintritt der Zahlungsunfähigkeit und nicht erst nach Ablauf der dreiwöchigen Insolvenzantragspflicht eintritt.Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),
36b) Feststellung der Überschuldung
Überschuldung ist in
- Die Überschuldung im insolvenzrechtlichen Sinne ist unabhängig von einer Überschuldung in der Handels- oder Steuerbilanz.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
§ 19 Rn. 17 - Die Vermögensgegenstände und Schulden können in der Überschuldungsbilanz nur dann zu Fortführungswerten (Going-Concern) angesetzt werden, wenn der Fortbestand des Unternehmens überwiegend wahrscheinlich ist (positive Fortführungsprognose).Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),
§ 64 Rn. 59 b - Ist die Fortführungsprognose positiv, kommt es auf eine rechnerische Überschuldung gar nicht mehr an; in diesem Fall ist nicht von einer Überschuldung im Rechtssinne auszugehen.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
§ 19 Rn. 41; Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),§ 64 Rn. 47a, 59b
37Die Aufstellung eines Überschuldungsstatus zu Fortführungswerten (wie in der Handelsbilanz) ist daher eigentlich ein redundanter Prüfungsschritt. Letztlich kommt es aber bei einer positiven Fortführungsprognose (bei der die Überschuldungsbilanz zu Fortführungswerten anzusetzen wäre) auf die rechnerische Überschuldung (und damit auf eine Überschuldungsbilanz) nicht mehr an. Umgekehrt muss bei negativer Fortführungsprognose die Überschuldungsbilanz zu Liquidationswerten aufgestellt werden. Damit gibt es letztlich nur zwei relevante Kriterien für die Überschuldungsprüfung, von denen mindestens eins positiv sein muss: Die Fortführungsprognose oder die Überschuldungsbilanz zu Liquidationswerten.
Welches der beiden Kriterien man zuerst prüft, ist Geschmackssache. In der Regel wird der konkrete Fall nahelegen, welches Merkmal einfacher zu ermitteln ist.
Ob diesen beiden Merkmalen ein – aus der Handelsbilanz in der Regel leicht abzuleitender – Überschuldungsstatus zu Fortführungswerten quasi als Orientierungshilfe vorgeschaltet wird, ist ebenfalls Geschmackssache.
In einer praxisorientierten Darstellung kann man sich daher auf die beiden genannten Merkmale der Fortbestehensprognose und der rechnerischen Überschuldung zu Liquidationswerten beschränken.
38aa) Fortbestehensprognose
Bei der Fortbestehensprognose kommt es darauf an, ob mittelfristig von einer Zahlungsfähigkeit des Unternehmens ausgegangen werden kann.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
Der Prognosezeitraum beträgt ein bis zwei Jahre, wobei es hierbei keine festen Grenzen gibt. Der Prognosezeitraum muss handhabbar und noch betriebswirtschaftlich kalkulierbar sein.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl.(2015),
39Fraglich ist, welche Anforderungen an eine solche Fortführungsprognose zu stellen sind. Aus dem Gesetzeswortlaut ist nämlich nicht klar zu entnehmen, ob hierzu ein – gegebenenfalls extern zu erstellendes – Unternehmenskonzept notwendig ist. Der BGH hat diese Voraussetzung allerdings aus dem früheren
40Nicht verlangt wird dabei ein Gutachten nach dem IDW S 6 Standard.Hamburger Kommentar/Schröder, InsO, 5. Aufl. (2015),
Im Grundsatz muss es dem Geschäftsführer einer GmbH – gegebenenfalls unter Zurhilfenahme unternehmensinterner Ressourcen, wie dem Controlling – möglich sein, ein entsprechendes Konzept selbst zu erstellen. Er trägt allerdings das Risiko, dass ein selbst erstelltes Konzept diesen Anforderungen im Nachhinein nicht genügt.
41bb) Überschuldungsbilanz zu Liquidationswerten
Sofern die Fortführungsprognose negativ ist (oder eine solche gar nicht erstellt wird), kommt es auf den Überschuldungsstatus zu Liquidations- bzw. Zerschlagungswerten an.Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),
42(1) Wertansatz der Aktiva
Auf der Aktivseite der Überschuldungsbilanz sind alle Vermögenswerte anzusetzen, die für den Fall der Insolvenzeröffnung als Massebestandteile verwertbar wären.BGH, Urteil vom 13.07.1992 – II ZR 269/91, Rn. 15 = NJW 1992, 2891, 2893 Zu aktivieren sind daher sämtliche zum Anlage- und Umlaufvermögen zählenden Sachen und Rechte.BGH, Urteil vom 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, Rn. 15 = NJW 1983, 676, 677
43(a) Sachanlagen
Sachanlagen sind mit ihrem Verkehrswert anzusetzen.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
44(b) Finanzanlagen und Beteiligungen
Finanzanlagen und Beteiligungen an anderen Gesellschaften werden grundsätzlich mit ihrem Verkehrs- oder Kurswert in der Überschuldungsbilanz aktiviert.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
45(c) Immaterielle Vermögenswerte und Geschäfts- oder Firmenwert
Immaterielle Vermögenswerte, wie z.B. Patente, Marken, Lizenzen, Gebrauchsmuster und Warenzeichen dürfen in der Überschuldungsbilanz aktiviert werden, soweit sie im eröffneten Insolvenzverfahren veräußerbar sind.IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 78; Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
Ein Geschäfts- oder Firmenwert kann in der Überschuldungsbilanz grundsätzlich nicht aktiviert werden, da ein Geschäfts- oder Firmenwert im Falle einer Liquidation in der Regel nicht verwertbar ist.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
46(d) Gegenstände mit Aus- oder Absonderungsrechten
Soweit an Gegenständen des Anlage- oder Umlaufvermögens Aussonderungsrechte bestehen, ein Dritter also aufgrund eines dinglichen oder persönlichen Rechts geltend machen kann, dass ein bestimmter Gegenstand nicht zur Insolvenzmasse gehört (
Gegenstände, die aufgrund einer Besicherung von Gesellschaftsforderungen der Absonderung unterliegen (§
47(e) Vorräte, unfertige Erzeugnisse, Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe
Vorratsbestände sowie Roh-, Hilfs- und Betriebsstoffe sind zu aktivieren, soweit eine Verwertung im Rahmen einer Liquidation denkbar ist.Hamburger Kommentar/Schröder, InsO, 5. Aufl. (2015),
48(f) Forderungen
Forderungen sind in der Überschuldungsbilanz anzusetzen, wenn sie durchsetzbar sind und einen realisierbaren Vermögenswert darstellen.BGH, Urteil vom 18.10.2010 – II ZR 151/09, Rn. 18 – ZInsO 2010, 2396, Rn. 18
Allerdings soll bei Forderungen aus Lieferungen und Leistungen ein Abschlag zwischen 20 und 50 Prozent vorgenommen werden, weil die Zahlungsmoral der Kunden bei Bekanntwerden der Insolvenzreife des Schuldners sinkt.So Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
49(g) Ansprüche gegen Gesellschafter und Geschäftsführer
Bestehen Ansprüche gegen einen oder mehrere Gesellschafter auf Einzahlung noch ausstehender Einlagen, sind solche Forderungen – sofern sie als werthaltig anzusehen sind – in die Überschuldungsbilanz aufzunehmen.IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 77; BGH, Urteil vom 17.07.2006 – II ZR 178/05, Rn. 7 = DStR 2007, 1360 Gleiches gilt für eine noch nicht geleistete Zahlung auf eine wirksam beschlossene Kapitalerhöhung.IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 77
Ebenfalls sind Ansprüche, die unabhängig von der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens entstehen können, in der Überschuldungsbilanz zu aktivieren. Hierzu gehören beispielsweise Haftungsansprüche gegen Mitglieder des Geschäftsleitungs- oder Aufsichtsorgans (insbesondere Ansprüche aus
Hingegen sind Ansprüche, die erst mit der Eröffnung des Insolvenzverfahrens zugunsten der Insolvenzmasse entstehen (und somit erst vom Insolvenzverwalter geltend gemacht werden können), nicht in die Überschuldungsbilanz aufzunehmen. Dies gilt insbesondere für
- Ansprüche aus der persönlichen Haftung von Gesellschaftern (z.B.
§ 128 HGB),Hamburger Kommentar/Schröder, InsO, 5. Aufl. (2015),§ 19 Rn. 27 - Schadensersatzansprüche wegen Insolvenzverschleppung gegen die Geschäftsführer (
§ 15a I InsO i.V.m.§ 823 II BGB)Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),§ 19 Rn. 115 sowie - Schadensersatzansprüche wegen Insolvenzverschleppung gegen die Gesellschafter bei Führungslosigkeit der Gesellschaft (
§ 15a III InsO i.V.m.§ 823 II BGB)Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),§ 19 Rn. 96 .
50Einen Sonderfall stellen Ansprüche gegen die Organmitglieder wegen Masseschmälerung (§ 64 GmbHG,
Sofern ein Anspruch gegen einen Gesellschafter oder einen Geschäftsführer in der Überschuldungsbilanz berücksichtigungsfähig ist, ist ein solcher Anspruch grundsätzlich mit dem Nennwert anzusetzen.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
51(h) Patronatserklärung
Aufgrund der verschiedenen Arten von Patronatserklärungen ist bei der Frage der Aktivierbarkeit (in der Überschuldungsbilanz des Schuldners) zu differenzieren:
Aktivierungsfähig sind nur sogenannte „harte“ und „interne“ Patronatserklärungen.IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 80
„Harte“ Patronatserklärung – im Gegensatz zu einer „weichen“ Patronatserklärung – bedeutet, dass verbindlich ein Anspruch gegen den Patron begründet wird. Zudem muss die Patronatserklärung intern, d.h. gegenüber dem Schuldner abgegeben werden, und gegenüber allen Gläubigern wirken.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
Wird eine harte Patronatserklärung intern gegenüber dem Schuldner abgegeben, d.h. erwirbt der Schuldner einen Anspruch gegen den Patron, kann der Schuldner einen solchen Anspruch aus der harten, internen Patronatserklärung in seiner Überschuldungsbilanz aktivieren,BGH, Urteil vom 19.05.2011 – IX ZR 9/10, Rn. 20 f. = NZI 2011, 536, 537 jedenfalls dann, wenn ein Rückforderungsanspruch des Patrons ausdrücklich nachrangig gestellt ist oder auf diesen verzichtet wurde.Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1116
52Der sich aus der Patronatserklärung ergebende Anspruch gegen den Patron muss zudem voll werthaltig sein, was nur dann der Fall ist, wenn der Patron tatsächlich in der Lage ist, Ausgleich für alle ungedeckten Verbindlichkeiten des Schuldners zu leisten.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
Eine harte Patronatserklärung, die der Patron zu Gunsten einzelner oder aller Gläubiger des Schuldners abgibt (sogenannte „externe“ Patronatserklärung), ist in der Überschuldungsbilanz des Schuldners hingegen nicht aktivierungsfähig, weil der Schuldner in solchen Fällen keinen eigenen (aktivierungsfähigen) Anspruch gegen den Patron erwirbt.BGH, Urteil vom 19.05.2011 – IX ZR 9/10, Rn. 20 f. = NZI 2011, 536, 538; OLG Celle, Urteil vom 18.06.2008 – 9 U 14/08 = NZG 2009, 308, 309; Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1117
53(i) Aktive Rechnungsabgrenzungsposten
Aktive Rechnungsabgrenzungsposten (z.B. im Voraus gezahlte Mieten oder Versicherungsprämien) dürfen in die Überschuldungsbilanz aufgenommen werden, wenn eine vorzeitige Vertragsauflösung möglich ist und ein Rückzahlungsanspruch besteht.IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 81
54(2) Wertansatz der Passiva
Auf der Passivseite der Überschuldungsbilanz sind alle bestehenden oder wahrscheinlich entstehenden Verbindlichkeiten mit ihrem Nennwert anzusetzen.Hamburger Kommentar/Schröder, InsO, 5. Aufl. (2015),
55(a) Verbindlichkeiten
In der Überschuldungsbilanz sind sämtliche gegenwärtig bestehenden Verbindlichkeiten zu berücksichtigen, die im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens Insolvenzforderungen begründen können.BGH, Urteil vom 27.10.1982 – VIII ZR 187/81, Rn. 15 = BB 1982, 2161
Hierzu gehören grundsätzlich alle Arten von Verbindlichkeiten wie etwa diejenigen aus Warenverbindlichkeiten und Leistungen, Bankverbindlichkeiten, Wechselverpflichtungen, erhaltene Anzahlungen und Steuerschulden.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
Noch nicht fällige oder gestundete Verbindlichkeiten sind ebenfalls anzusetzen.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
Auch wenn für eine Verbindlichkeit eine Sicherheit durch einen Dritten gewährt wurde, ist eine solche Verbindlichkeit zu passivieren. Die Sicherheit selbst kann hingegen nicht aktiviert werden, da der Sicherungsgeber regelmäßig einen Rückgriffsanspruch gegen den Schuldner hat. Selbst wenn der Sicherungsgeber auf seinen Rückgriffsanspruch verzichtet oder diesbezüglich einen Rangrücktritt erklärt, soll die Passivierungspflicht nicht entfallen, weil auch in diesen Konstellationen für den Schuldner weiterhin die Gefahr einer unmittelbaren Inanspruchnahme besteht.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
56(b) Nachrangige Verbindlichkeiten
Nachrangige Verbindlichkeiten sind in der Überschuldungsbilanz zu passivieren, soweit sich der Nachrang lediglich auf das Insolvenzverfahren bezieht. Wird der Nachrang allerdings auch für außerhalb eines Insolvenzverfahrens vereinbart, ist eine solche nachrangige Verbindlichkeit nicht in Ansatz zu bringen.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
57(c) Rangrücktritt
Gemäß
Hieraus folgt zunächst, dass Forderungen auf Rückzahlung von Gesellschafterdarlehen, für die kein Rangrücktritt vereinbart ist, in der Überschuldungsbilanz zu berücksichtigen sind, auch wenn es sich laut Gesetz gemäß
Nur soweit der Gesellschafter ausdrücklich einen Rangrücktritt in den Rang des
Hat die Gesellschaft mit einem Dritten eine Rangrücktrittsvereinbarung getroffen, durch die der Dritte mit seiner Forderung in den Rang des
58(d) Rückstellungen
Rückstellungen werden in der Überschuldungsbilanz nur teilweise berücksichtigt:
Rückstellungen für streitige Verbindlichkeiten (streitig kann das Bestehen der Verbindlichkeit sein, aber auch deren Höhe) sind in der Überschuldungsbilanz zu passivieren, soweit mit einer Inanspruchnahme zu rechnen ist.BGH, Urteil vom 22.09.2003 – II ZR 229/02, Rn. 18 = NJW 2003, 3629, 3631; IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 84 Anstelle des vorsichtigen Schätzwerts nach HGB tritt in der Überschuldungsbilanz der erwartete Wert.IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 84
Da bei negativer Fortführungsprognose eine Fortführung des Geschäftsbetriebs unwahrscheinlich ist, sind in der Überschuldungsbilanz auch Rückstellungen für die Stilllegung und Abwicklung des Unternehmens zu bilden.So KG Berlin, Urteil vom 01.11.2005 – 7 U 49/05, Rn. 35 = ZInsO 2006, 437, 439; Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
Anders als in der Handelsbilanz sind Rückstellungen für drohende Verluste aus schwebenden Geschäften (
59(e) Pensionsverpflichtungen
Pensionsverpflichtungen, d.h. laufende Pensionsverpflichtungen und unverfallbare Pensionsanwartschaften, sind mit ihrem versicherungsmathematischen Barwert zu passivieren.Hamburger Kommentar/Schröder, InsO, 5. Aufl. (2015),
60(f) Ansprüche von Gesellschaftern
Gewinnansprüche der Gesellschafter sind zu passivieren soweit es bereits einen entsprechenden Gewinnverwendungsbeschluss gibt.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
Abfindungsansprüche von Gesellschaftern sind ebenfalls zu passivieren, soweit diese bereits entstanden sind.OLG Hamburg, Urteil vom 20.06.2013 – 11 U 107/11 = ZInsO 2013, 1517, 1519
61(g) Rückgewähransprüche von öffentlichen Zuwendungen
Erhaltene Zuwendungen aus Beihilfen oder anderen öffentlichen Zuwendungen sind passivierungspflichtig, soweit eine Rückzahlungsverpflichtung für den Fall der Schließung des Unternehmens besteht.IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 83
62(h) Passive Rechnungsabgrenzungsposten
Passive Rechnungsabgrenzungsposten sind – entsprechend den aktiven Rechnungsabgrenzungsposten – zu berücksichtigen, soweit sie Vorleistungscharakter haben.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
63cc) Feststellung der Überschuldung
Es stellt sich die Frage, ab welchem Zeitpunkt ein Geschäftsführer verpflichtet ist, eine Überschuldungsprüfung durchzuführen. Insbesondere in kleineren Unternehmen entspricht es wohl nicht der Praxis, dass die Geschäftsführung laufend eine Fortführungsprognose entsprechend der oben dargestellten Anforderungen erstellt. Da viele Unternehmen – soweit nicht erhebliche stille Reserven vorhanden sind (z.B. wenn das Betriebsgrundstück im Gesellschaftsvermögen ist) – bei einem Ansatz von Liquidationswerten rechnerisch überschuldet sind, ist eine positive Fortführungsprognose Voraussetzung, um nicht in die Insolvenzantragspflicht zu geraten.
Daher erwartet die höchstrichterliche Rechtsprechung von jedem organschaftlichen Vertreter, dass er sich über die wirtschaftliche Lage des Unternehmens stets vergewissert.BGH, Urteil vom 14.05.2007 – II ZR 48/06, Rn. 16 = NJW 2007, 2118, 2120 Hierzu gehört insbesondere auch die Prüfung der Überschuldung und Zahlungsfähigkeit.BGH, Urteil vom 14.05.2007 – II ZR 48/06, Rn. 16 = NJW 2007, 2118, 2120
Im Schrifttum ist ebenfalls anerkannt, dass die Prüfung, ob ein Insolvenzgrund vorliegt, eine allgemeine Pflicht der Geschäftsführer ist.Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015),
c) Leistung von Zahlungen
64aa) Zahlungen
Der Begriff der „Zahlung“ ist weit auszulegen. Im Lichte des Normzwecks (Massesicherungspflicht) wird hierunter jede Minderung des Aktivvermögens verstanden.Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),
- dass die Sicherungsabtretung vor Insolvenzreife der Gesellschaft vereinbart wurde und
- die eingezogene Forderung auch bereits vor Insolvenzreife entstanden und werthaltig geworden ist.BGH, Urteil vom 23.06.2015 – II ZR 366/13 = ZIP 2015, 1480
Damit hilft diese Rechtsprechung nur über einen sehr kurzen Zeitraum hinweg (in der Regel über die dreiwöchige Insolvenzantragsfrist).
65Generell anders zu sehen sind Einzahlungen auf ein debitorisches Konto, das aus dem Gesellschaftsvermögen ausreichend besichert ist. Soweit der Wert der Sicherheiten reicht, liegt in der Einzahlung auf ein solches Konto keine Masseschmälerung, weil die Sicherheit in derselben Höhe zu Gunsten der Gläubigermasse frei wird.MüKo-H. F. Müller, GmbHG, 2. Aufl. (2016),
bb) Entfallen der Ersatzpflicht bei Ausgleich durch Gegenleistung
66Erlaubt sind hingegen solche Zahlungen, die effektiv nicht zu einer Masseschmälerung führen (wobei diese nicht privilegiert i. S. v. Satz 2 sind, sondern schon tatbestandlich nicht unter Satz 1 Fallen). Wird eine Masseschmälerung in einem unmittelbaren Zusammenhang mit der Zahlung durch eine Gegenleistung ausgeglichen, entfällt die Ersatzpflicht des Organs.BGH, Urteil vom 04.07.2017 – II ZR 319/15 = DStR 2017, 2060. Nicht erforderlich ist, dass die Gegenleistung bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch im Gesellschaftsvermögen vorhanden ist.BGH, Urteil vom 18.11.2014 – II ZR 231/13 = DStR 2015, 180. Allerdings ist ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen der Masseschmälerung (Zahlung) und der ausgleichenden Massemehrung (Gegenleistung) erfoderlich. Es soll gerade nicht jeder beliebige weitere Massezufluss als Ausgleich einer Masseschmälerung zu berücksichtigen sein.BGH, Urteil vom 04.07.2017 – II ZR 319/15, Rn. 11 = DStR 2017, 2060. Vielmehr soll ein unmittelbarer wirtschaftlicher, nicht notwendig zeitlicher Zusammenhang mit der Zahlung erforderlich sein, damit der Massezufluss der (an und für sich erstattungspflichtigen) Masseschmälerung zugeordnet werden kann.BGH, Urteil vom 04.07.2017 – II ZR 319/15, Rn. 11 = DStR 2017, 2060. Ein solcher Ausgleich in unmittelbarem wirtschaftlichen Zusammenhang kommt insbesondere bei Zahlungen im Austausch für eine vollwertige Gegenleistung, sprich Zug-um-Zug-Geschäfte in Betracht.BGH, Urteil vom 04.07.2017 – II ZR 319/15, Rn. 11 = DStR 2017, 2060. Dies gilt jedenfalls dann, wenn zunächst die Zahlung geleistet wird und im Anschluss die Gegenleistung in das Vermögen der Gesellschaft gelangt. Die kompensatorische Wirkung der Gegenleistung soll allerdings dann nicht eintreten, wenn zunächst die Gegenleistung (zum Beispiel durch eine Warenlieferung) erbracht wird und in Anschluss erst die Zahlung erfolgt.OLG München, Urteil vom 22.06.2017 – 23 U 3769/16, Rn. 52 = NZG 2017, 1437, 1438. Begründet wird diese Rechtsprechung damit, dass es, wenn die ausgleichende Gegenleistung bereits in das Vermögen des späteren Insolvenzschuldners gelangt ist, bei der nachfolgenden Zahlung zu einer Verkürzung der Aktivmasse kommt, weil sich das Vermögen bereits um die Gegenleistung erhöht hat.OLG München, Urteil vom 22.06.2017 – 23 U 3769/16, Rn. 52 = NZG 2017, 1437, 1438. Besteht die Vorleistung allerdings in der Übereignung unter (verlängertem) Eigentumsvorbehalt (wie es regelmäßig die AGB von Lieferanten vorsehen), dürfte die Gegenleistung als ausgleichender Massezufluss zu berücksichtigen sein, weil erst durch die Zahlung die vollständige Eigentumübertragung zustande kommt (und damit keine Vorleistung des Zahlungsempfängers vorliegt).
67Zu beachten ist darüber hinaus, dass die als Ausgleich in der Masse gelangende Gegenleistung für eine Verwertung durch die Gläubiger geeignet sein muss.BGH, Urteil vom 04.07.2017 – II ZR 319/15 = DStR 2017, 2060.
Das soll bei Arbeits- oder Dienstleistungen in der Regel nicht der Fall sein.BGH, Urteil vom 04.07.2017 – II ZR 319/15, Rn. 18 = DStR 2017, 2060, 2061.
Lohn- und Gehaltszahlungen sowie Zahlungen an Dienstleister sind daher regelmäßig verbotene und damit erstattungspflichtige Zahlungen im Sinne des
Zahlungen für Energieversorgungs- und Telekommunikationsdienstleistungen sowie Entgelte für Internet und Kabelfernsehen sind ebenfalls erstattungspflichtig, weil die Gegenleistungen (Dienstleistungen) die für die Gläubiger verwertbare Aktivmasse nicht erhöhen und damit kein Ausgleich der Masseschmälerung durch die Zahlung sind.BGH, Urteil vom 04.07.2017 – II ZR 319/15, Rn. 19 = DStR 2017, 2060, 2062; zur Frage, ob derartige Leistungen im Sinne einer Aufrechterhaltung des Betriebs privilegiert sein können, siehe unten lit. cc).
Zahlungen an Rechts- und Sanierungsberater sollen nach der Rechtsprechung des BGH hingegen erlaubt sein. Voraussetzung hierfür ist allerdings, dass die Beauftragung des Rechts- oder Sanierungsberaters in der konkreten Situation zur Abwendung von Nachteilen für die Insolvenzmasse sachdienlich und erforderlich ist und dem Honorar eine angemessene, den Interessen der Gläubigergesamtheit entsprechende Gegenleistung gegenübersteht.BGH, Beschluss vom 05.02.2007 – II ZR 51/06, Rn. 4 = NZI 2007, 679, 680; Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. (2015),
68cc) Privilegierte Zahlungen gem. § 64 Satz 2
Nach
Hierzu zählen die Begleichung von Strom-, Wasser- und Heizkosten,Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),
Sehr zweifelhaft ist, ob Lohn- und Mietverbindlichkeiten bezahlt werden dürfen.So aber Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),
69In einer rechtfertigenden Pflichtenkollision befindet sich der Geschäftsführer bei der Bezahlung der Arbeitnehmeranteile zur Sozialversicherung und der Lohn- sowie Umsatzsteuer.BGH, Urteil vom 02.06.2008 – II ZR 27/07 = NZG 2008, 628; BGH, Urteil vom 14.05.2007 – II ZR 48/06 = NJW 2007, 2118, 2119; BGH, Urteil vom 25.01.2011 – II ZR 196/09 = NZI 2011, 196
Zahlt der Geschäftsführer nämlich die Sozialversicherungsbeiträge nicht oder nicht rechtzeitig, macht er sich gem.
70Ferner besteht die Gefahr einer persönlichen Haftung des Geschäftsführers gegenüber dem Finanzamt nach
71d) Subjektiver Tatbestand
Die Haftung setzt ein Verschulden des Geschäftsführers voraus, wofür einfache Fahrlässigkeit genügt.BGH, Urteil vom 27.03.2012 – II ZR 171/10 = ZIP 2012, 1174, Rn. 13
Werden Zahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen nach Eintritt der Insolvenzreife geleistet, wird das Verschulden in der Regel vermutet.BGH, Urteil vom 27.03.2012 – II ZR 171/10 = ZIP 2012, 1174, Rn. 13
Die Erkennbarkeit der Insolvenzreife reicht also aus, wobei selbst die Erkennbarkeit als Teil des Verschuldens vermutet wird.BGH, Urteil vom 27.03.2012 – II ZR 171/10 = ZIP 2012, 1174, Rn. 13
Der Geschäftsführer ist deshalb gehalten, sich erforderlichenfalls durch eine fachlich qualifizierte Person beraten zu lassen.BGH, Urteil vom 27.03.2012 – II ZR 171/10 = ZIP 2012, 1174, Rn. 13
Wer notwendigen Rechtsrat nicht einholt, handelt schuldhaftScholz/Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. (2015),
Es besteht daher eine ständige Pflicht zur wirtschaftlichen Selbstkontrolle.Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),
Da das Verschulden bei Vorliegen der objektiven Tatbestandsvoraussetzungen vermutet wird, obliegt es dem Geschäftsführer, den Exkulpationsbeweis anzutreten.Scholz/Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. (2015),
72e) Rechtsfolge
Liegen die Tatbestandsvoraussetzungen vor, hat der Geschäftsführer die geleisteten Zahlungen ungekürzt zu erstatten.BGH, Urteil vom 08.01.2001 – II ZR 88/99 = BGHZ 146, 264
Der Anspruch wird daher als Ersatzanspruch eigener Art bezeichnet.Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013),
Demgegenüber hält Karsten Schmidt den Anspruch als besondere Ausprägung der Haftung nach
73Die praktischen Unterschiede dieser Qualifizierung sind beträchtlich. Nach der Rechtsprechung ist der Anspruch der Höhe nach nicht auf den gesamten Insolvenzverschleppungsschaden begrenzt.Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 18. Aufl. (2012),
Der Geschäftsführer kann sich auch nicht darauf berufen, dass die verbotene Zahlung im Wege der Insolvenzanfechtung vom Zahlungsempfänger zurückverlangt hätte werden können oder noch verlangt werden könnte.BGH, Urteil vom 18.12.1995 – II ZR 277/94 = BGHZ 131, 325
Allerdings lässt der BGH – insoweit nun doch in Anlehnung an das Schadensersatzrecht – in entsprechender Anwendung von
74Dem Geschäftsführer bleibt es ferner vorbehalten, den durch seine (verbotenerweise) geleistete Zahlung befriedigten Gläubigeranspruch als Insolvenzforderung zur Insolvenztabelle geltend zu machen, nachdem er seiner Erstattungspflicht nach
75f) § 64 Satz 3
Nach
Die einzige für die Praxis wichtige Folge des Satz 3 ist, dass dem Geschäftsführer gegenüber den Gesellschaftern ein Leistungsverweigerungsrecht zusteht,BGH, Urteil vom 09.10.2012 – II ZR 298/11 = BGHZ 195, 42, Leitsatz 3 und Rn. 18; Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 18. Aufl. (2012),
76g) Verjährung
Der Anspruch verjährt gem. Satz 4 i.V.m. § 43 IV in fünf Jahren ab dem Zeitpunkt seiner Entstehung. Der Anspruch entsteht in dem Zeitpunkt, in dem die masseschmälernde Zahlung geleistet worden ist,BGH, Urteil vom 16.03.2009 – II ZR 32/08 = ZIP 2009, 956, Rn. 20
nicht erst mit Eröffnung des Insolvenzverfahrens oder dessen Ablehnung mangels Masse.So aber Rowedder/Schmidt-Leithoff/Schmidt-Leithoff/Baumert, GmbHG, 5. Aufl. (2013),
3) Abgrenzungen, Kasuistik
77Neben der Haftung nach § 64, die regelmäßig nur der Insolvenzverwalter geltend machen kann (lediglich bei Abweisung mangels Masse kommt eine Pfändung des Anspruchs durch einen Individualgläubiger und somit eine Geltendmachung durch diesen in Betracht), haftet der Geschäftsführer auch jedem einzelnen Gläubiger gegenüber nach
4) Zusammenfassung der Rechtsprechung
- BGH, Urteil vom 09.10.2012 – II ZR 298/11 = ZIP 2012, 2391
- OLG München, Urteil vom 06.05.2010 – 23 U 1564/10 = ZIP 2010, 1236, 1237
- OLG München, Urteil vom 22.12.2010 – 7 U 4960/07 = ZIP 2011, 225, Rn. 48
- BGBl. I 2008, S. 2026
- BGH, Urteil vom 26.03.2007 – II ZR 310/05
- BGH, Urteil vom 24.05.2005 – IX ZR 123/04, Rn. 8 = NZI 2005, 547
- BGH, Urteil vom 10.07.2014 – IX ZR 287/13, Rn.
5) Literaturstimmen
- Schmidt/Uhlenbruck, Die GmbH in der Krise, Sanierung und Insolvenz, 5. Aufl. (2016)
- Baumbach/Hueck/Haas, GmbHG, 20. Aufl. (2013), § 64
- Roth/Altmeppen, GmbHG, 8. Aufl. (2015), § 64
- Lutter/Hommelhoff/Kleindiek, GmbHG, 18. Aufl.(2012), § 64
- MüKo-H.F. Müller, GmbHG, 2. Aufl. (2016) § 64
- Scholz/Schmidt, GmbHG, 11. Aufl. (2015)
- Baumbach/Hopt/Roth, HGB, 36. Aufl. (2014), § 130
- Uhlenbruck/Mock, InsO, 14. Aufl. (2015) § 17
- Hölzle, ZIP 2007, 613, 615
- Bork, ZIP 2008, 1749, 1751
- Prager/Jungclaus, FS-Wellensiek 2011, 101, 105 ff.
- Pape, WM 2008, 1949, 1955
- Ganter, ZInsO 2011, 2297, 2300
- Fischer, FS-Ganter, 2010, 153, 158 ff
- Kayser, Höchstrichterliche Rechtsprechung zum Insolvenzrecht, 6. Aufl. (2012)
- Hans-Peter Kirchhof, InsO, 6. Aufl. (2011), § 17
- IDW S 11, Ziff. 4.1.1., Rn. 17 a.E.
- MüKo-Drukarczik/Schüler, 3. Aufl. (2013), § 19
- Hamburger Kommentar/Schröder, InsO, 5. Aufl. (2015), § 19
- IDW Standard: Anforderungen an die Erstellung von Sanierungskonzepten
- IDW S 6, Stand: 20.08.2012, Düsseldorf 2012, IDW Standard: Beurteilung des Vorliegens von Insolvenzeröffnungsgründen (IDW S 11)
- IDW S 11, Ziff. 5.4.1., Rn. 72 und Ziff. 5.4.3., Rn. 84
- IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 77
- IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 78
- IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 79
- IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 80
- Maier-Reimer/Etzbach, NJW 2011, 1110, 1116, 1117
- IDW S 11, Ziff. 5.4.3., Rn. 81
- Scholz/Bitter, GmbHG, 11. Aufl. (2015), vor § 64
6) Häufige Paragraphenketten
§
7) Prozessuales
78Im Prozess obliegt es zunächst der Gesellschaft bzw. dem klagenden Insolvenzverwalter, den Eintritt der Insolvenzreife darzulegen und zu beweisen. Mit Blick auf die Zahlungsunfähigkeit muss der Insolvenzverwalter entweder die liquide Unterdeckung anhand einer Liquiditätsbilanz oder die Zahlungseinstellung anhand objektiver Anhaltspunkte darlegen und beweisen. Kann der Insolvenzverwalter lediglich Umstände für eine Zahlungseinstellung dartun und beweisen, kann der Geschäftsführer durch Vorlage einer Liquiditätsbilanz die gesetzliche Vermutung des
Der klagende Insolvenzverwalter hat ferner sämtliche verbotenen Auszahlungen konkret nach Höhe und Empfänger aufzuschlüsseln. Der Geschäftsführer muss dann bei jeder einzelnen Zahlung darlegen und beweisen, dass diese entweder zu keiner Masseschmälerung geführt hat oder mit der Sorgfalt eines ordentlichen Geschäftsmanns vereinbar waren.
Örtlich zuständig für eine Klage nach
8) Anmerkungen
79
Die vorstehenden Ausführungen stellen keine erschöpfende Darstellung sämtlicher in der Praxis auftretenden Probleme dar und ersetzen insbesondere keine fachmännische Beratung im Einzelfall. Insbesondere kann auch nur eine leichte Abweichung des Sachverhalts zu einer anderen rechtlichen Beurteilung führen als die vorstehenden Ausführungen es nahelegen, die sich eher an typischen Sachverhaltskonstellationen orientieren.
Die vorstehenden Ausführungen sind gründlich recherchiert und basieren auf zahlreichen Erfahrungen des Autors aus der Praxis. Dennoch können Fehler nicht ausgeschlossen werden. Eine Haftung für die Richtigkeit und/oder Vollständigkeit der vorstehenden Ausführungen ist ausgeschlossen.